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Freizeitgesellschaft.

Freizeit genießen und ganz bei sich sein. Rückzug ins Private. Kann das gut gehen?

Ich sag´s mal so: Es geht ja schon sehr lange gut. Im Osten bereits seit 30 Jahren, im Westen schon viel länger. Obgleich auch in der Vorwendezeit im Osten eher der Rückzug des Einzelnen zu beobachten war als das aktive Mitgestalten. Wir stellen fest: Eine lange Geschichte mit unterschiedlichen Kausalitäten.

Der Mensch ist heutzutage offenbar mehr denn je auf Individualismus getrimmt. Das Genießen und die persönliche Freiheit sowie das Private stehen ganz weit oben. „Du hast es dir verdient!“ oder „Lebe dein Leben!“ – starke Sprüche von und für Menschen, die gerne zuerst an sich denken. „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“, sagen manche. Ich glaube solche Leute mögen ihre Mitmenschen nicht.

Wir sind in der Freizeitgesellschaft angekommen. In einer Freizeitgesellschaft, die gerne konsumiert. Freizeit als Ruhe, als Nichtstun, als Nachdenken – das geht nicht. Es muss oft ein turbulentes und inspirierendes Entertainment-Sahnehäubchen obendrauf. Das gilt sogar in Corona-Zeiten, wo Shoppen und Genießen ins Netz verlagert werden. Nur anstrengend darf es nicht sein.

Viele Menschen sehen zwar, dass etwas schiefläuft: gesamtgesellschaftlich und oft auch politisch. Gerade in Zeiten der nahen Klimakrise. Man weiß, dass man etwas dagegen tun müsste. Aber ach, die Trägheit… Den Job schafft man gerade noch, aber dann soll schon gleich das Genießen kommen. Keine Umstände, keine Meinungen, keine Aufregung, kein gesellschaftliches Engagement! Besser: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – diese Paraphrase aus dem Japanischen, die für den Umgang mit dem Schlechten steht, hatte zu vielen Zeiten Hochkonjunktur. Auch heutzutage.

Kann das gut gehen? Ich weiß es auch nicht. Aber ich schätze: nein. Wenn jeder nur an sich denkt, geht der Zusammenhalt verloren. Der Mensch ist ein „Rudelwesen“. Wir sind alle auf uns angewiesen. Und wir sollten alle Obacht darauf haben, was in unserer Gesellschaft nicht gut läuft. Am Ende soll keiner sagen: „Ich hab`s ja immer gesagt.“ Vor allem nicht, wenn der Spruch vom Ohrensessel aus erklingt.