Der "Good Vibes Only"-Trend hat die Menschen oberflächlich werden lassen. Negative Gefühle und die Realität werden ausgeblendet.
Toxic Positivity, auf Deutsch "Toxische Positivität" oder auch "giftiges Positivdenken", macht sich in der Gesellschaft breit. Eine drastische, sehr frohe Stimmung, die alles weglächelt.
Ich spürte und beobachtete das bereits eine ganze Weile im Freundes- und Bekanntenkreis. Und auch in arbeitsmäßig. Schätzungsweise 3-4 Jahre. Lange Zeit war es für mich eine blasse
Sinneswahrnehmung, eher ein Ahnen, ein sich wundern. Seit kurzem ist mir klar: Es handelt sich offensichtlich um das sog. Toxic Positivity. In einer Zeitschrift beim Hausarzt bin ich
drauf gestoßen.
Dieses Ahnen und Wundern brachte mich mehr und mehr dazu, im Freundes- und Bekanntenkreis den Mund zu halten. Denn was man auch sagte: Immer musste man vorab checken, ob die Worte, die man sagen
wollte, auch positiv und lobend genug waren. Wenn man es nicht tat, wurde man freundlich gemaßregelt. Es war wie eine Welle, die man mitreiten musste: loben, loben, loben (mind. 5 x sagen, wie
toll das Essen geschmeckt hat und wie wunderbar die Stimmung heute abend wäre etc.). Nichts Negatives von sich geben, keine Probleme ansprechen, keine gesellschaftlichen Realitäten ansprechen.
Ernsthafte Analyse und Betrachtung der Dinge, Zustände und Menschen, die uns umgeben? Fehlanzeige.
Was treibt die Menschen dazu, nur positiv denken zu wollen? Ich habe lange gegrübelt. Ich bin zu dem Schluss gekommen: Angst. Bei dieser Form der Lebenshaltung möchte man offenbar alle möglichen
Probleme aus seinem Leben fernhalten. Quasi eine Kopf-in-den-Sand-Haltung. Was ich nicht sehe und nicht höre, belastetet mich nicht. Vielleicht auch das Denken: was ich nicht ändern kann, muss
ich nicht mit mir herumtragen. Einfach abspalten. Eigentlich nicht schlecht, aber letztlich zu einem mentalen Stillstand und einer gehörigen Portion Oberflächlichkeit führend.
Denn Auseinandersetzungen, Streit und Diskussionen sind wichtig. Sie führen dazu, dass man seine eigenen Einstellungen hinterfragen lernt. Streit bringt einen weiter als simple Gefühlsduselei.
Eigentlich weiß das jeder Mensch, aber dieses Wissen scheint verloren gegangen zu sein. Mit Streit meine ich nicht die üblen Anwürfe von Menschen, denen die Verbitterung im Gesicht abzulesen ist
und die diese z. B. in den sozialen (unsozialen!) Medien herauslassen. Mit Streit meine ich die gepflegte Auseinandersetzung über für die Gesellschaft wichtige Themen, eine treffsichere
Diskussion, eine gute Analyse der Realität.
Ich wünsche mir mehr Mut bei den Menschen.