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Shiftling baseline.


Wir verstehen nur, was wir kennen und sehen. Veränderungen, die in vielen kleinen Schritten erfolgen, können wir kaum nachvollziehen.

Was wir kennen, ist uns nah. Was wir nicht kennen, erscheint uns eigenartig. Manchmal schauen wir mit einem zweiten Blick darauf… allzu oft auch nicht, weil zu anstrengend. So ist der Mensch gestrickt. Kein besonders tief denkendes Tier. Kein Wesen, das den Überblick behält. Nicht umsonst soll uns die KI mit „deep learning“ helfen, die Welt besser zu verstehen. In mehr als 200.000 Jahren Menschheitsgeschichte haben wir das nicht allein geschafft. Zu vielfältig ist der Mensch. Und zu kurz lebt er.

Man kann den Überblick leicht verlieren. Hunderte Nachrichten buhlen jeden Tag um unsere Wahrnehmung. Nicht leicht zu erkennen, was wichtig ist und was Banalität. Dazu noch das Fact gewordene Dasein der Fake News. Geschichte passiert für die meisten Menschen in den Nachrichten und kaum eine Mitteilung ist uninteressanter und älter als die von gestern.

Wir springen und rennen in der Regel dem vermeintlich Neuen hinterher. Handlungs- und Gedankenfolgen über eine längere Zeit wahrzunehmen, Geschichte als Erfahrungshorizont vergangener Generationen zu begreifen, fällt uns schwer. Was sagte Albert Einstein zum Thema Intelligenz? „Intelligent ist, wer Zusammenhänge sieht, wo andere völlig Neues sehen.“

So ist es auch beim Thema Naturzerstörung. Wir wissen nicht genau, wo wir herkommen, aus welcher Landschaft wir kommen. Historiker wissen das, aber sie bekommen ihr Wissen schwer vermittelt. Geschichte gilt als langweilig, weil die Zukunft aufregend erscheint.

Ein paar Beispiele:

  • Wir wissen nicht mehr, wie unsere Landschaft vor 150 oder 200 Jahren ausgesehen hat. Aus den Erzählungen unserer Großeltern blitzt das eine oder andere auf: hier gab es mal einen schönen Feldweg mit vielen Alleebäumen, dort eine Kolonie Rebhühner, dort Fasane in Mengen. Heute wissen viele Kinder gar nicht mehr, was Fasane und Rebhühner sind. Es stört sie nicht, weil das Wissen um sie weggerutscht ist, es ist verschoben. Was ich nicht weiß, was ich nicht kenne, was mir keiner vermittelt hat, vermisse ich auch nicht.
  • Wir wissen nicht mehr, wie die Alpengletscherwelt in ihrer Vollständigkeit aussah. Viele Gletscher sind geschmolzen, keine Ahnung wie das vorher aussah. Die Wissenschaft zeigt es, aber ins Gedächtnis der Gellschaft wandert diese Information nicht ein.

  • Wie sah unsere Landschaft ohne die vielen Bundes- und Landesstraßen sowie Autobahnen aus? Wissen wir nicht, kennen wir schon lange nicht mehr anders. So, wie es heute ist, scheint es uns normal zu sein.

Wissen driftet...shiftet weg… Die baseline ist immer das JETZT, nie das Gestern. Deshalb können wir nicht erkennen, wie wir die Natur und die Landschaft im Laufe der Zeit in vielen kleinen Schritten überformt haben und dabei sind sie zu zerstören. Für uns Jetztmenschen sah die Natur schon immer so aus, wie sie im Augenblick ausschaut. Uns fehlt nichts (den meisten jedenfalls nicht). Aber der Natur fehlt… Natur.