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Sieben Krisen.


Wir analysieren und erklären. Wir spalten die multiplen Krisen so gut wie möglich ab. Keine wirkliche Zeitenwende zu sehen.

Der Journalist Bernd Ulrich schreibt in der ZEIT Nr. 13 vom 24.03.2022 über die sieben Krisen, die auf uns zurasen bzw. schon angekommen sind. Globales Artensterben, stetiger Klimawandel, andauerndes Corona, näher rückender Krieg, sich mehrender Hunger, anwachsende Massenfluchten. Der Text ist erhellend für alle die, die sich bis jetzt noch nicht so richtig Sorgen gemacht haben.

Auch Harald Welzer hat in ZEITENENDE (2023) klar skizziert, was sowohl mit der Natur als auch mit uns Menschen los ist. Die Dissonanz zwischen dem Denken und Hoffen und der Realität, die uns tatsächlich umgibt, tritt immer stärker zutage. Das Problem ist einfach: Wir Menschen werden immer mehr und richten immer mehr Schaden auf dieser Welt an, wir wachsen und wachsen und produzieren munter weiter. "Wachsen ist in unserem Kultur- und Wirtschaftsmodell, obwohl es in der Natur immer begrenzt ist, zur zivilreligiösen Pflicht, zu Wille und Vorstellung jedes und jeder Einzelnen, zum politischen Mantra und zur Regierungsfolklore geworden," so Welzer.

Aber wer liest die ZEIT, wer liest Harald Welzer  –  hier… in einem Teil Deutschlands, der sich unendlich abgehängt fühlt? Hier, wo das Geld für eine gute Wochenzeitung gar nicht vorhanden ist… Hier, wo Politik für 17 Dörfer bedeutet, dass ein (!!!) ehrenamtlicher Bürgermeister tätig ist. Und dieser Bürgermeister hat keine Angestellten oder Beamten… Hier, wo sehr viele Menschen den politischen Vertretern auf Kreis-, Landes- und Bundesebene gar nicht mehr vertrauen. Wo sich die Menschen untereinander auch nicht mehr vertrauen. Hier, wo jeder, der etwas bewegen will oder für Natur- und Umweltschutz steht, ausgelacht wird, weil sich Engagement gar nicht mehr lohnt in den Augen derjenigen, die Lachen und Hänseln.

Die großen Analysen, der Weitblick, das Abwägende und Durchdringende, die Alternativen, die wir haben… spielen hier keine Rolle. Hier, wo Landräte sagen können: „Mir reicht die Hoheit über die Stammtische.“ Und das in einer Region, die sich in den letzten 30 Jahren so weit nach hinten entwickelt hat, dass es eigentlich nur nach vorne eine Bewegung geben müsste. Aber die gibt es nicht. Und nicht nur hier unten an der Basis ist eine Art verharrender Stillstand und ein emsiges So-weiter zu sehen...es ist auf allen Ebenen, global.

Man selbst ist noch einigermaßen frohgemut und fühlt manchmal jede Menge Resilienz in sich. Doch die Wirklichkeit, hier draußen auf dem Lande, holt einen schnell ein. Man braucht nur mit Bekannten, Freunden und Nachbarn sprechen. Wir analysieren und erklären uns untereinander die Welt. Wir hoffen und beten sogar manchmal. Patente Lösungen hat keiner. Vom hohen Ross des Wohlstandes will keiner runter. Aber mental aufgegeben haben schon viele. Sie fühlen sich ohnmächtig, bedeutungslos, sie fühlen sich überfordert, der Wertkanon ist zudem verschoben. Die Realität ist so komplex geworden, dass das Abspalten der Krisen eine Lösung geworden ist.

Will sagen: Man kann sich, genau wie die große Politik, auf nichts mehr einigen. Gerade jetzt, wo zügiges, gutes und gemeinschaftliches Handeln für die Gesellschaft und die Demokratie, gegen die Krisen angesagt wären… jetzt, wo Ideen gebraucht werden und Engagement, Engagement, Engagement…verharren viel zu viele Menschen im Stillstand und warten erstmal ab. Sie warten auf die Politik und die Politik wartet auf die Menschen.

c Bild: Sabrina Gorges