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Sieben Krisen.


Wir analysieren und erklären. Wir hoffen und beten. Wir spalten die Krisen so gut wie möglich ab.  

Der Journalist Bernd Ulrich schreibt in der ZEIT Nr. 13 vom 24.03.2022 über die sieben Krisen, die auf uns zurasen bzw. schon angekommen sind. Globales Artensterben, stetiger Klimawandel, andauerndes Corona, näher rückender Krieg, sich mehrender Hunger, anwachsende Massenfluchten. Der Text ist erhellend für alle die, die sich bis jetzt noch nicht so richtig Sorgen gemacht haben.

Aber wer liest die ZEIT –  hier… in einem Teil Deutschlands, der sich unendlich abgehängt fühlt? Hier, wo das Geld für eine gute Wochenzeitung gar nicht vorhanden ist… Hier, wo Politik für 17 Dörfer bedeutet, dass ein (!!!) ehrenamtlicher Bürgermeister tätig ist. Und dieser Bürgermeister hat keine Angestellten oder Beamten… Hier, wo sehr viele Menschen den politischen Vertretern auf Kreis-, Landes- und Bundesebene gar nicht mehr vertrauen. Wo sich die Menschen untereinander auch nicht mehr vertrauen. Hier, wo jeder, der etwas bewegen will, ausgelacht wird, weil sich Engagement gar nicht mehr lohnt in den Augen derjenigen, die Lachen und Hänseln.

Ich würde sagen: fast niemand liest hier die ZEIT. Und auch die Süddeutsche lesen nur wenige, und die FAZ und die Welt… und haste nicht gesehen. Die großen Analysen, der Weitblick, das Abwägende und Durchdringende, die Alternativen, die wir haben… spielen hier keine Rolle. Hier, wo sogar der amtierende Landrat sagt: „Mir reicht die Hoheit über die Stammtische.“ Und das in einer Region, die sich in den letzten 30 Jahren so weit nach hinten entwickelt hat, dass es eigentlich nur nach vorne eine Bewegung geben müsste. Aber die gibt es nicht.

Man selbst ist noch einigermaßen frohgemut und fühlt manchmal jede Menge Resilienz in sich. Doch die Wirklichkeit, hier draußen auf dem Lande, holt einen schnell ein. Man braucht nur mit Bekannten, Freunden und Nachbarn sprechen. Wir analysieren und erklären uns untereinander die Welt. Wir hoffen und beten sogar manchmal. Patente Lösungen hat keiner. Und vom hohen Ross des Wohlstandes will auch keiner runter. Aber mental aufgegeben haben schon viele. Sie fühlen sich ohnmächtig, bedeutungslos, sie fühlen sich überfordert, der Wertkanon ist zudem verschoben. Die Realität ist so komplex geworden, dass das Abspalten der Krisen eine Lösung geworden ist.

Will sagen: Man kann sich, genau wie die große Politik, auf nichts mehr einigen. Gerade jetzt, wo zügiges, gutes und gemeinschaftliches Handeln für die Gesellschaft und die Demokratie, gegen die Krisen angesagt wären… jetzt, wo Ideen gebraucht werden und Engagement, Engagement, Engagement…verharren viel zu viele Menschen im Stillstand und warten erstmal ab. Sie warten auf die Politik und die Politik wartet auf die Menschen.