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Das Leben im Lake District.


Wie funktioniert das Dasein in einem touristischen Hotspot?

Ein gut organisierter Tourismus schützt die Landschaft vor ästhetischen Übergriffen der Moderne. Wo Tourismus der Hauptwirtschaftsfaktor ist, kann kein schädlicher und häßlicher Industriezweig entstehen. Der Lake District (LD) hat den großen Vorteil von vornherein eine geschirmte Landschaft zu sein, ein Nationalpark.

Die Schönheit dessen, was man im LD jeden Tag zu sehen bekommt, scheint zur Hälfte an der authentischen alten Wirtschaftsstruktur (Schafhaltung in Tälern und auf den Bergen) zu hängen, zum anderen an zum Teil hohen Bauanforderungen dieses Landschaftsbild und seine Wirtschaftsweise zu erhalten. Und: Die Einheimischen, die hier leben, sind stolz auf ihre Landschaft! Eine alte Kulturlandschaft, die nicht umsonst einen UNESCO Welterbe-Status bekommen hat.

Zersiedelung, etwas, was in Deutschland gehäuft und oft maßlos rund um Städte und größere Dörfer vollzogen wird, ist hier kaum zu sehen. Neue Bauten in der Abgeschiedenheit der Landschaft…fast nicht zu sehen. Das, was an Gebäuden vorhanden ist, wird gehegt, gepflegt, höchstens umgebaut. In sechs Wochen haben wir 3 kleinere Baugebiete für Einfamilienhäuser gesehen, nur am Rande des LD. Die Häuser sind insgesamt wesentlich kleiner als in Deutschland.  

Wie die BergschäferInnen überleben, können wir nicht genau erkennen. Mit 50 Schafen oder 50 Kühen kann man kein Haus, keinen Hof oder Kinder etc. unterhalten. Wahrscheinlich haben alle SchäferInnen Hauptberufe (Tourismus, Baugewerbe etc.) und die Schafzucht ist nur ein Nebenerwerb. Dieser wiederrum wird wohl über staatliche Subventionen erhalten – also so, wie in der EU. Kaum ein Landwirt würde überleben, wenn der Staat ihn nicht stützen würde. Die Subventionen helfen die Kulturlandschaft zu erhalten.

Wander- und Radfahrklamotten (Outdoor-Zeug) werden im LD massenweise verkauft. In Keswick und Ambleside scheinen ein Drittel aller Geschäfte davon zu leben, Touristen auf die denkbar schlechtesten Wetterverhältnisse ever vorzubereiten. Regen gibt es hier tatsächlich nicht wenig.   

Die vielen Wanderwege sind kaum gekennzeichnet. Die kleinen runden Nationalpark-Sticker sind oft die einzigen Hinweise. Touristen wandern oder biken entweder mit Kartenmaterial durch die Landschaft (die Älteren) oder digital mit Routensystemen (die Jüngeren). Das Radwegeleitsystem ist rudimentär, funktioniert aber offenbar sehr gut. Auf große Schilder wird meist verzichtet, um die Landschaftsoptik nicht zu stören. Fell Fixer sind unterwegs, um die vielen Bergpfade auszubessern. Permantly. Freiwillig. Ohne Bezahlung. 19 Millionen Gäste hinterlassen Spuren, obgleich die wenigsten davon wirklich auf den bis zu 1.000 m hohen Bergen hiken. Vielen reicht der Konsum in den kleinen und größeren Städten, leichtes Sightseeing, Cafés und kleinere Seenwanderungen. Und das ist auch gut so, denn das bringt die touristische Wirtschaftskraft gewaltig nach vorne.

Asphaltierte Radwege gibt es im LD fast keine. Einige RadfahrerInnen sind auf den engen und extrem gewundenen Straßen unterwegs. Lebensgefährlich!  

Große Supermärkte gibt es nur in größeren Städten, meist 20 – 30 km von den Dörfern oder Höfen entfernt. Farmshops ergänzen das Angebot in der Fläche. Diese sind nicht mit unseren kleineren und größeren Bioläden zu vergleichen. Hier zieht „regional“ mehr als „bio“. Kleinere Supermärkte gibt es in den kleineren Städten, ähnlichen Mini-Ausmaßes wie zum Beispiel in Venedig. Man erkennt sie auf den ersten Blick kaum. Wir bekommen unser Obst, Gemüse und die Milch von Landwirten, die im LD wirtschaften (Kooperative Home Grown Here).

Die Hälfte der Gäste scheint mit einem SUV anzureisen. Ein Grauen. Die dicken Wagen führen auf den engen Straßen/Sträßchen zu Problemen. Auf Parkplätzen ebenso. Oft sitzen leicht überforderte Rentner in den Großraumwagen. Eigentlich dürften im LD nur Autos zugelassen werden, die schmal sind. Männliche Touristen, die nicht mitdenken, halten manchmal mitten auf der Straße an und fotografieren in Ruhe die Landschaft, Schafe oder schöne Häuser. Sind das die „stupid white man“, von denen man manchmal hört?   

Straßenschäden werden im LD offenbar mit sehr hoher Geschwindigkeit und sehr präzise ausgebessert. Innerhalb von 2 Wochen wird auf einer Strecke von, sagen wir 5 km Bergpass, die gesamte Oberfläche perfekt runderneuert. Inkl. Randstreifen und Markierungen. Bei uns würde man die Straße mehr als ein halbes Jahr sperren. Trotzdem gibt es unheimlich viele Straßen, die Schäden aufweisen - allein die große Anzahl an Touristen und der häufige Regen machen ein aufwändiges Straßenmanagement notwendig. 

Trockenmauern sind überall in der Landschaft zu sehen. Die meisten wurden vom 16.-19. Jahrhundert gesetzt (Enclosure-Politik). Eine Privatisierungsmaßnahme! Eine Revolution der Reichen gegen die Armen. Allmende-Flächen wurden deutlich weniger. Gab es so ähnlich auch in Deutschland - im Königreich Hannover. Das hatte massive soziale Verwerfung als Folge. Was wir heute als pittoresk betrachten, war harte Wirtschaftspolitik. Die meisten Stonewalls werden heute liebevoll erhalten. Sie hegen die Schafe ein und verzieren Grundstücke.

England ist zudem für seine vielfältigen und straßenbegleitenden Hecken bekannt – diese sieht man hier in unendlichen Ausmaßen. Deren Pflege ist uns noch etwas unklar. Sie sind perfekt beschnitten. Aber wie wird dies gemacht? Mit welchen Werkzeugen und wann genau? Wer ist dafür verantwortlich? Die Arbeit, die dahintersteckt, können wir nicht ermessen. Während in Deutschland ein paar Meter Hecke für die meisten Landwirte ein Riesenproblem darstellen… ist das hier offenbar kein Problem. Hecken und Steinmauern sind ein essentieller Teil der Kulturlandschaft.